Anmerkungen zu Shibui
von W.G. von Krenner
Zu meinen Ausführungen über Shibui möchte ich zur Vermeidung von Missverständnissen noch etwas hinzufügen. Manche denken, dass Shibui in der Kunst oder Shibui von Gegenständen mit einem Mangel an Qualität gleichzusetzen sei und dass ein billiges und schlichtes Ding Shibui habe. Dem ist nicht so.
Die japanische Sprache kennt den Begriff Shibumi, um einen wortwörtlich groben oder bitteren Geschmack zu beschreiben – zu verstehen als Gegensatz zu süßem Geschmack. Das zugehörige Adjektiv Shibui wird von Shibu abgeleitet. Shibui bedeutet einfach, unberührt, geschmackvoll oder elegant. Doch vermittelt keines dieser Wörter auch nur ansatzweise die wahre Bedeutung von Shibui.
So wie alle transzendenten Qualitäten entzieht sich auch Shibumi einer genauen Definition. Für Japaner liegt Shibumi in allen Dingen, die den Geist beruhigen und befrieden. Dies geschieht nicht bewusst, sondern instinktiv, lässt sich nicht in Worte fassen. Shibumi liegt in der Bewunderung von Kunst und Kultur, extremer Verfeinerung, stillem Geschmack und in Rücksichtnahme auf andere.
Es liegt kein „zu viel“ darin und das Wort steht für den Protest gegen Zurschaustellung. Shibumi unterstreicht die traditionelle Befürwortung von Heiterkeit, innere Einkehr, Bescheidenheit, Förmlichkeit, Adel, Freigiebigkeit, Reserviertheit und konservative Werte. Es ist die Antithese zu allem Bizarren und wehrt sich gegen alles Grelle, Laute und Lärmende und auch gegen künstlich angeheizten Kommerz.
Es gibt in der englischen [wie auch der deutschen] Sprache kein einzelnes Wort, das den Sinn von Shibumi, wie es die Japaner verstehen, transportieren könnte. Ein sensibler Ausländer mit Kunstverständnis könnte Shibumi als den Gipfel der Eleganz umschreiben, als eine Verfeinerung, die durch Jahre des Trainings erlangt werden kann, als die zur höchsten Klasse getriebenen [Selbst-]Beschränkung. Der Begriff Shibui wird in Japan im Zusammenhang mit Gebräuchen, Häusern, Räumen, Dekoration, Kunst und Kleidung verwendet, aber auch die Stimmlage kann damit qualifiziert werden. Es bezeichnet ein Gefühl für die richtige Anordnung der Dinge. Alle Teile müssen zum Ganzen passen und das Ganze muss sich gehörig in den Ort und an die Umstände einfügen. Ich benutze das Wort „Angemessenheit“, um diese Qualität zu beschreiben, die unserer Zeit und vielen Zeitgenossen oft fehlt.
Shibumi ist in allen traditionellen und hochwertigen Künsten Japans zu finden; diese vom Zen-Buddhismus inspirierte esoterische Qualität, die Kunst in der Kunst verbirgt.
Es freie Übersetzung von Shibui Konomi könnte folgendermaßen lauten: „Die Wertschätzung aller wohl arrangierten und ausgewogenen Elemente, die im Mittelpunkt aller Kunst, des eigenen Lebens und der eigenen Persönlichkeit stehen.“
Copyright © der deutschen Übersetzung: Stefan Schröder 05.08.2010.