Der Herausgeber dieser Zeitschrift hat mich schon oft gebeten, einen Artikel über das Aikido zu schreiben. Ich bin kein Schriftsteller, aber ich versuche etwas für den Leser Interessantes beizusteuern.
Zunächst möchte ich mich kurz vorstellen und einige Hintergründe meiner Aikido-Karriere darlegen. Ich begann 1961 in Kalifornien bei Isao Takahashi und Koichi Tohei mit dem Aikido. 1967 reiste ich mit einer Empfehlung von Sensei Takahashi nach Japan, um im Dojo von O-Senseo Morihei Ueshiba zu trainieren. Dort wurde ich von verschiedenen Lehrern unterwiesen, unter anderem von O-Sensei selbst und seinem Sohn Kisshomaru Ueshiba, den wir damals „Waka-Sensei“ nannten – er wurde später der zweite Doshu. Mein vorheriger Lehrer, Toichi-Sensei war damals im Honbu-Dojo der Hauptlehrer. Ich lebte damals in einer Art Wohnheim gleich neben dem Dojo, wo die ausländischen Schüler untergebracht waren; es waren damals weniger als zehn, denn Aikido war damals im Westen noch nicht populär.
Ich verließ Japan als O-Sensei starb und ging nach Hawaii, wo ich unter Suzuki-Shihan weitertrainierte, bis Tohei-Sensei sich vom Aikikai trennte und den Aiki Kenkyu Kai gründete. Obwohl Tohei-Sensei mein Lehrer war, entschied ich mich, beim Honbu-Dojo und Doshu Kisshomaru zu bleiben. Rückblickend war das keine gute Wahl, aber darüber werde ich zu einer anderen Gelegenheit schreiben. Danach trainierte und unterrichtete ich auf Hawaii im Aikikai-Dojo unter Aoyagi-Shihan. 1981 eröffnete ich in Montana ein Dojo und unterrichte dort seitdem Aikido und Schwert. Ich gründete das Sandokan-Aikido, lehrte dort für 28 Jahre und zog mich dann aus persönlichen Gründen zurück. Meine Schüler verließen das Dojo mit mir und überzeugten mich ein neues Dojo mit dem Namen „Aikido Kenkyu Dantai“ zu gründen, wo ich noch heute unterrichte. Natürlich gibt es zu meiner Biographie noch vieles hinzuzufügen und ich werde einige der Lücken gelegentlich in weiteren Aufsätzen füllen.
Während meiner Zeit in O-Senseis Dojo habe ich ein Tagebuch geführt und auch einige seiner Vorträge und Theorien so gut ich konnte aufgezeichnet. Einige sind sehr esoterisch und schwer verständlich, aber wenn die Leser dieser Zeitschrift und ihr Herausgeber dies wünschen, kann ich einiges darüber schreiben. Hiermit lade ich die Leser ein, dem Herausgeber ihre Fragen zu schicken und ich werde mich bemühen diese Fragen aus meinem Blickwinkel und anhand meiner Erfahrungen zu beantworten.
Das Aikido hat sich erheblich verändert, seit ich damit begann, besonders nach dem Tod des Gründers. Sieht man von Tomiki und Shiodas Yoshinkai ab, gab es nur O-Sensei und sein Aikido. Der Gründer sagte oft: „Es ist kein Aikido ohne mich.“ Wir sollten diese Worte angesichts der heutigen Vorgänge sorgfältig bedenken. Für eine Kunst, die Harmonie und Einheit befördern soll, gibt es viel Egoismus, Wettbewerb und Disharmonie. Der Gründer sagte: „Wenn man sein spirituelles Training fortsetzt, wird es keine Konflikte geben. Denn dieses Training ist die Liebe selbst – es gibt weder Konflikt, noch Sieg.“ Im heutigen Aikido ist die technische Fertigkeit in waza in den Fokus gerückt. Das spirituelle Training, über das O-Sensei sprach, wird entweder von Leuten, die – wie ihre Lebensweise verrät – wenig davon verstehen, verdreht oder gepredigt oder gerät ganz in Vergessenheit. Wären die Technik und Effizienz das einzige Maß für eine Budo-Kunst, so hielte ich das Daito-ryu Aiki-Jutsu, den Vorläufer des Aikido, für viel effektiver und geeigneter. O-Sensei hat dieser Heiho, eine Dimension hinzugefügt, die Aikido in vieler Hinsicht überlegener macht, wenn auch nicht unbedingt als Kampfkunst. Er erinnerte uns immer und immer wieder daran, dass wahrer Sieg im Sieg über das eigene Ego und das competitive Begehren liegt.
Masakatsu-Agatsu-Katsu Hayabi.
Er schrieb für mich eine Shodo-Kalligraphie, die sich darauf bezieht. Sie lautet: „Ame no murakumo ku ki samuhara ryu-o.“ Wörtlich übersetzt ergibt dies keinen Sinn; sie erinnert uns auf verschlüsselte und verborgene Weise daran, dass alles Böse in der inneren wie in der äußeren Welt mit dem Schwert des Aiki besiegt und ausgemerzt werden kann. Er sagte: „Diejenigen, welche Aikido nur für eine Kampfkunst halten, werden sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr verbessern, egal wieviel sie üben. Im Aikido geht es nicht um Formen und Techniken. Aikido ist sprituelle Energie, eine formlose Kunst und Energie. Und die Technik muss auf formloser Energie basieren.“ Daran sollten wir denken.
Masakatsu-Agatsu.
Eines der Ziele des spirituellen Aikido-Studiums ist es, alle Ecken und Kanten des Selbst abzuschleifen, bis das ganze auf dem Ego beruhende Selbst in sich zusammenfällt.
Das Selbst vergeht und wird vergessen. Was ist dieses „Selbst“, an dem wir so hartnäckig festhalten? Wir grübeln über das Nicht-Verhaftetsein und haben allerlei Vorstellungen davon. Beim Nicht-Verhaften geht es nicht darum, sich nicht zu sorgen, nicht zu lieben oder nichts zu tun. Es geht nur um das Nicht-Verhaften, nichts festhalten müssen. Kontrolle und Manipulation aufgeben, an nichts kleben. Wer Körper und Geist losläßt, wird nicht zum selbstvergessenen Zombie, nicht zu einem wandelnden Toten – im Gegenteil liegen darin Lebendigkeit und freie Vitalität. Was ist dieses „Selbst“, welches wir in „Selbstverteidigung“ oder Budo verteidigen? Ist es Körper? Oder Geist? Ist es weder Körper noch Geist? Oder beides, Körper und Geist?
Das Selbst ist eine Idee. Es existiert nicht. Wir erschaffen es in jedem einzelnen Moment. Immer wenn wir an etwas verhaften, erschaffen wir ein „Selbst“. Darum dauert es auch immer so lange, es loszuwerden; mit falschem Training gelingt uns dies niemals. Erst wenn wir frei von all diesem Verhaftet-sein sind, fallen Körper und Geist von uns ab. [Was bleibt, ] das ist das wahre Selbst, das Fundament für die Realität. In diesem Augenblick ist das Training vollendet. Dieser Prozess überwindet Zeit und Raum. Viele werden es nicht schaffen, aber einige wenige schaffen es doch; wer den wahren Weg beschreitet, kann nur schwerlich umkehren. Wenn du vergisst, wie schnell du dich bewegst, wie du graduiert bist, wer besser ist als du, wer nicht so hut ist wie du. und so weiter, … wirf all dies fort (Hogejaku); dann wird es nur noch das Üben geben, von Moment zu Moment. Das gilt nicht nur für das Dojo, sondern für alle Facetten deines Lebens während aller vierundzwanzig Stunden des Tages. Erst dann ist dann Übung zur wahren Übung wird. Hogejaku, Hoge bedeutet „loslassen, aufgeben, wegwerfen, zurücklassen, weglegen“.
Ein Schüler fragt Josshu: „Ich habe nichts. Was soll ich tun?“. Josshu antwortete: „Wirf es weg.“
Copyright © der deutschen Übersetzung: Stefan Schröder 24.01.2010