Erschienen online auf Aikidojournal.com.
Dieser Artikel wurde mit der freundlichen Unterstützung von Volker Hochwald aus Deutschland erstellt.
"Wir sollten nicht mit der Tradition des Begründers brechen, nur weil Leute aus dem Ausland zu uns kommen."
Hitohiro Saito (40) ist in Iwama geboren und begann im Alter von sieben Jahren mit dem Training. Als Kind lernte er bei Morihei Ueshiba und setzte sein Training dann unter seinem Vater Morihiro Saito fort.
Er hat sich der Erhaltung des spirituellen und technischen Erbes von O-Senseis Aikido gewidmet und hat sich in Japan, den USA, Australien und Europa einen Ruf als exzellenter Techniker und Lehrer erworben.
Wir konnten während dieses Interviews seine umfassende Liebe und seinen tiefen Respekt für seine beiden Meister (den Begründer und seinen Vater) spüren.
AJ: Hitohiro-Sensei, was sind ihre frühesten Erinnerungen in diesem Dojo?
Hitohiro Saito: Gewöhnlich habe ich mit O-Sensei zusammen gegessen und ich durfte haben, was er auf dem Teller ließ. Ich erinnere mich auch, dass ich in meiner Kindheit morgens nach dem Aufwachen weinte, weil meine Mutter nicht bei mir war. Sie war immer im Dojo, um O-Sensei zu helfen.
AJ: Es heißt, O-Sensei sei immer sehr ernsthaft gewesen.
An anderen Orten hat O-Sensei seine Techniken normalerweise nur vorgeführt, aber hier in Iwama hat er richtig unterrichtet und darin war sehr streng. Dann schrie er: "Was soll das für ein Kiai sein? Geht raus und guckt, ob ihr mit eurem Kiai eine Schwalbe vom Himmel holen könnt!" Oder, wenn jemand einen schlappen Yonkyo anwendete: "Geh' raus und versuch es mit einem Baum! Solange bis die Rinde abgeschabt ist!"
Schon als Kind verstand ich durch die ihn umgebende Atmosphäre, dass er ein großer Mann war. Wir verneigten uns in dem Moment, wenn mein Vater losging, um O-Sensei abzuholen und blieben auf unseren Knien, bis O-Sensei eintraf, dicht gefolgt von Saito-Sensei. Wir erhoben unsere Köpfe, um uns gleich darauf mit O-Sensei vor dem Schrein des Dojos zu verneigen. Dann begannen wir unser Training mit Tai no Henko.
Wenn ich während O-Senseis Erklärungen neben meinem Vater saß, konnte ich aufgefordert werden, O-Sensei mit einem Shomen-Uchi-Schlag anzugreifen. Eines Tages sollte meine ältere Schwester O-Sensei attackieren, aber sie fing an zu weinen und verließ das Dojo, denn es war für ein Kind nicht leicht, O-Sensei auf diese Weise zu unterbrechen. Ich wurde an ihrer Stelle geschickt und schlug mit einem Kiai zu, worauf O-Sensei sagte: "So, bist du also gekommen." Er warf mich, aber hielt meinen Kopf fest, so dass er nicht auf die Matte schlug. Er sagte: "Vorsichtig jetzt." O-Sensei war ein so freundlicher Mensch.
Ich erinnere mich einmal im Garten gewesen zu sein und ihm beim Zähneputzen zugesehen zu haben. Dann plötzlich nahm er sein künstliches Gebiss heraus und sagte: "Das war lustig, oder?" (lacht)
AJ: Wie alt waren Sie da?
Ich war in der zweiten Klasse. O-Sensei war damals noch sehr kräftig und lebhaft. In seinen späteren Jahren hat er mehr Zeit mit dem Aufwärmen verbracht, aber als ich mit dem Aikido begann, hat er noch mehr Techniken unterrichtet.
AJ: Wann haben Sie sich entschlossen, ihr Leben völlig dem Aikido zu widmen?
Ich hatte kaum eine Wahl, da ich der einzige Sohn bin, auch wenn ich im Hinblick auf das Training faul war (lacht). Ich wollte für meinen Lebenunterhalt ein Restaurant eröffnen und nebenbei Aikido üben. Nach der High-School ging ich für ein Jahr nach Sendai um Kochen zu lernen. Danach war ich zwei Jahre in Osaka für weiteren Unterricht. Wenn ich frei hatte, ging ich in das Dojo von Seiseki Abe und lernte bei ihm auch Kalligraphie. Ich habe auch Bansen Tanakas Aiki-Dojo besucht.
Abe-Sensei übt Misogi indem er jeden Morgen kaltes Wasser über sich gießt, um seinen Seele zu reinigen. Er möchte mit seiner Kalligraphie wohl seinen asketischen Geist ausdrücken. Er hat O-Sensei erstmalig in Bansen Tanakas Dojo in Takahama getroffen. O-Sensei erkannte in ihm einen verwandten Geist auf dem Weg des Misogi und nahm das Studium der Kalligraphie bei ihm auf.
Wir haben Abe Sensei vor einigen Jahren besucht und sahen die außergewöhnlichen Werke von O-Sensei. Man bemerkt beim Betreten des Dojo eine spirituelle Atmosphäre.
Die Kalligraphien sind brillant, oder? Um mehr über O-Sensei zu lernen, sollte man seine Doka (Gedichte) lesen und seine Kalligraphien ansehen. Photos und Videos geben uns zwar ein Gefühl dafür mit O-Sensei verbunden zu sein, aber seine Gedichte und Kalligraphien reden auf eine feinere Art und Weise mit uns. Sie sind wirklich wundervoll und tiefschürfend.
AJ: Abe-Sensei kennt O-Senseis Gedichte sehr gut, oder?
Das stimmt. Ich hoffe er kann seine Pläne verwirklichen eine Reihe von O-Senseis Kalligraphien zu veröffentlichen und ein ihm gewidmetes Museum zu eröffnen. Als ich ein Kind war, hat Abe-Sensei Iwama oft mit seiner Tochter besucht. Er ist ein gelehrter Mann und kennt sich gut mit dem Kojiki (Aufzeichnungen Alter Dinge) aus, den ältesten japanischen Schriften über die Geschichte Japans, aus denen O-Sensei viel zitierte, wenn er Aikido erklärte. Abe hat mir viel über das Kojiki erzählt, aber da diese Materie sehr schwierig ist, ging es bei mir wohl leider zu einem Ohr hinein, aus dem anderen wieder heraus. (lacht)
AJ: Haben Sie während Ihrer Ausbildung in Sendai und Osaka auch Aikido geübt?
In Sendai trainierte ich unter Hanzawa-Sensei, in Osaka bei Abe-Sensei.
AJ: Haben Sie auch wie geplant ein Restaurant eröffnet?
Ja, 1978, aber ich war jung und ein Dummkopf und ich habe nachts viel mit den Kunden getrunken; ich habe auch nicht sehr ernsthaft trainiert. Das Restaurant habe ich sieben Jahre geführt, aber dann begann ich mich um meine Gesundheit zu sorgen. Ich beriet mich mit meinem Vater und er stimmte mit mir überein, dass ich dieses Geschäft aufgeben sollte. Er verreiste oft und brauchte jemanden, der das Dojo leiten würde, wenn er nicht da war. Das war vor 11 Jahren und seitdem bin ich Vollzeit-Aikido-Lehrer.
Vor 11 Jahren bin ich mit Saito-Sensei zu einem Seminar nach Dänemark gefahren. Letztes Jahr war das 10-jährige Jubiläum dieser Reise. Zu dieser Gelegenheit reisten wir wieder mit Saito-Sensei und einigen anderen Leuten aus Iwama dorthin. Es war ein großartiges Seminar mit 300 Teilnehmern.
AJ: Welchen Rat können sie Aikido-Übenden über die Grundlagen des Trainings geben?
Saito-Sensei lehrt, dass Taijutsu, Ken- und Jo-Techniken auf Hanmi basieren. Zuerst sollte man Hanmi beherrschen. Dann muss man einen richtigen Kiai lernen. Ich denke, ohne Kiai ist das Training schlecht. Der Begründer hatte einen unglaublichen Kiai. Wenn man das wahre Budo lernen will, kann man nichts verkehrt machen, wenn man versucht O-Sensei zu imitieren. Leider wissen viele Leute nicht viel über O-Sensei, aber ich tue mein Bestes ihnen von ihm zu erzählen.
Die Grundlage des Aikido ist sich selbst zu schmieden. Das geht nicht, wenn man gleich mit Ki no nagare (Ki-Fluss Übungen) beginnt. Das grundlegende Training besteht zunächst darin, dass der Partner einen festhält. Dies tut er aus Gefälligkeit. Der Partner widersetzt sich dir und erst dann kann man mit einer Technik beginnen. Das ist der erste Schritt auf dem Weg. Der Gründer hat gelehrt, dass man mit Tai no henko beginnen soll. Das Üben von Tai no henko sollte man nicht auch nur einmal vernachlässigen. Das lehren wir auch so hier in Iwama.
Es ist sehr wichtig, Tai no henko und Morotedori Kokyuho hart zu üben. Vorher kann man nicht einmal Ikkyo erklären. Wenn man sich auf dem vorderen Fuss dreht und die Rückseite öffnet, wie in Urawaza, dann sollte man eine korrekte Tai no henko-Bewegung ausführen. Bei dieser Bewegung berührt man mit den eigenen Zehen die Zehen des Partners. Der eigene Körper dreht sich um den großen Zeh des eigenen vorderen Fusses. Man muss sich korrekt drehen, nicht nur auf die alte Weise. Man muss sich präzise mit seinem Angreifer harmonisieren, nicht auf eine allgemeine und vage Art. Man muss am Anfang eine solide Basis schaffen.
AJ: Die Präzision des Anpassens ist ein wichtiger Punkt.
Jeder kann sich auf irgendeine Weise anpassen oder sich harmonisieren, aber man sollte gleich mit genaueren Formen beginnen, die sich am Ende ausdehnen bis zur universellen Harmonie, von welcher der Begründer gesprochen hat. Erst lernt man, wie man sich mit seinem Partner harmonisiert, "Zeh an Zeh", dann wie man sich auf dem vorderen Fuss dreht. Wenn man weiß, wie man sich richtig dreht, dann kann man auch Urawaza-Techniken ausführen. Man kann die Dinge nicht mit Worten erklären; man kann sie nur durch Training meistern. Der Gründer sagte: "Das Training hat Vorrang." Es ist nicht so, dass der Partner sich dir anpasst, du musst dich immer in allem ihm anpassen: "Bewegen, öffnen, die Führung übernehmen." Das ist was O-Sensei Saito-Sensei beigebracht hat. Eine Abweichung von einem Zentimeter kann die Ausführung einer Technik unmöglich machen. Man kann die Technik nicht einfach ausführen wie man will. Es gibt eine definitiven Art und Weise wie eine jede Technik ausgeführt wird. Jeder, nicht nur die körperlich Starken, soll in der Lage sein, eine Technik auszuführen. Leider vernachlässigen die Leute Tai no henko. Ich kann durch das Zuschauen beim Üben dieser beiden Techniken feststellen, auf welche Art bei ihnen im Dojo geübt wird. Mehr brauche ich nicht zu sehen. Ich denke, alle Grundlagen im Taijutsu des Begründers sind in diesen beiden Techniken und Ikkyo enthalten. Es ist sehr schwierig jemanden zu finden, der einen perfekten Ikkyo ausführt. Ich weiss, das klingt anmaßend, aber ich denke man kann Aikido nicht verstehen, wenn man nicht ordentlich mit diesen Techniken beginnt. Wenn man Tai no henko nicht beherrscht, wird man auch bei den anderen Bewegungen immer mit seinem Angreifer zusammenstossen. Das Grundlagentraining dient dazu einen dazu zu bringen, dass man die Probleme, die durch falsche Körperbewegungen entstehen, selbst lösen kann. Es ist nicht möglich, das mit Worten zu erklären, aber es hat einen tieferen Sinn. Aber ich spüre, dass der einzige Weg dies zu lernen ist, seinen Partner fest greifen zu lassen.
AJ: In einigen Dojos zeigen die Lehrer eine Technik zwei-, dreimal und dann wird ohne weitere Erklärung geübt, aber in Iwama wird immer sehr detailliert erklärt.
Meister Saito erklärt seine Techniken genau, da er möchte, dass jeder Schüler die Techniken so schnell wie möglich lernt. Diese Methode ist das Ergebnis der Fehler, die er selbst gemacht hat, und aus denen er auch gelernt hat. In den letzten Jahren seines Lebens hat O-Sensei die Techniken schnell wie der Blitz ausgeführt und die Fähigkeit der Schüler daran bemessen, wie gut sie das verstanden haben. Saito-Sensei möchte, dass die Leute schneller lernen als er damals. Er unterbricht die Leute sofort, wenn sie einen Fehler machen und korrigiert sie. Das könnte er nicht, wenn er nicht selbst so intensiv trainiert hätte. Wenn der Partner immer nur nachgibt, kann man nicht beurteilen, ob die Technik richtig ausgeführt wurde. Durch entschlossenes Zupacken hilft man dem Partner zu prüfen, ob die Technik richtig ausgeführt wurde oder nicht. Das soll nicht heißen, dass man aggressiv und hinterhältig angreift, obwohl man die Technik natürlich auch dem anpassen könnte. Der Partner soll fest halten, aber korrekt, dann kann man die Führung der Kraft lernen. Das ist das grundlegende Training. Je nachdem, ob der Partner eher von oben oder eher von unten greift, immer gibt es eine angemessene Antwort. Wenn der Gegner angreift, führe ihn gekonnt. Man stellt seinem Partner den eigenen Körper während des Trainings zur Verfügung, so dass man ernsthaft üben kann.
AJ: Oftmals sagen die Leute, dass man seine Fähigkeiten im Aikido nicht ermessen kann, weil der Angreifer mitarbeitet.
Das stimmt nicht. Man kann in jedem Moment während des Übens sehen, ob eine Technik gut oder schlecht ist. Wenn man sich übermäßig anstrengen muss, wenn der Angreifer sich schwer anfühlt oder man mit ihm zusammenstößt, dann hat man ihn nicht korrekt geführt. Man sollte dann genau untersuchen was mit der Bewegung nicht gestimmt hat oder ob man nicht weit geöffnet hat. Man braucht keine Wettkämpfe, um festzustellen ob Techniken funktionieren oder nicht.
AJ: Sie meinen man sollte ernsthaft angreifen?
Ja. Wenn ich sage: "Stoß' mich", dann sollte dies mit voller Kraft passieren; wenn ich sage: "Schlag zu", sollte man hart zuschlagen, gleiches gilt für Haltegriffe. Man sollte alle Energie und Stärke in den Angriff stecken. Natürlich muss man auch Rücksicht nehmen, wenn das Kräfteverhältnis sehr im Ungleichgewicht ist, damit der Nage auch etwas lernen kann. Der Gründer sagte, dass mit einem Kind zu üben sehr lehrreich ist. Seine Energie mit der eines Kindes zu harmonisieren ist sehr schwierig. Es ist offensichtlich, dass manche Leute stärker sind als andere, aber wenn man seinen Partner verletzt, dann ist das ein Akt der Gewalt und mit Sicherheit kein Aikido. Manche Leute denken, dass solch eine gewalttätige Übungsweise wertvolle Hinweise gibt, aber ich finde sie unwürdig. Der Gründer sagte wir sollten das Training geniessen, es kommt darauf an, wie genießbar wir es machen. Wenn man ehrlich nach dem Training zu seinem Partner sagen kann: "Vielen Dank. Bitte trainiere wieder mit mir", dann ist das der beste Weg. Wenn Konflikte auftreten und ein ungutes Gefühl nach dem Training bleibt, dann führt das Training nicht zum Frieden in der Welt, so wie es der Gründer beabsichtigte. Ich will, dass alle Leute Freude am Training haben. Wenn jemand verletzt ist und trotzdem weiter trainieren will, so kann man sich auch dem anpassen. Ich sage meinen Schülern, dass sie ihre Partner aufklären sollen, wenn sie Schwachpunkte haben, zum Beispiel ein wundes Handgelenk oder einen verletzten Ellenbogen. Sie können immer noch mit ihrem gesunden Arm trainieren. Wenn man verletzte Knie hat, kann man immer noch im Stand üben, statt auf den Knien. Man kann besser trainieren, wenn alle aufeinander achtgeben. Der Begründer vertrat immer einen offenherzigen Umgang und hier in Iwama kann man das immer noch spüren. Er sagte auch, dass man aus allem etwas lernen kann, wenn man nur will. Das ist sehr wahr.
AJ: Manche Leute können nicht jeden Tag trainieren; das ist doch aber nicht so wichtig, wenn sie nur ernsthaft trainieren.
Ja. Der Begründer sagte, wenn man 100 Mal Suburi übt, so ist dies sinnlos, wenn man kein Ki in diese Übungen legt. Zehnmal reicht, wenn man seine ganze Energie investiert. Es ist keine Frage der Dauer oder der Anzahl. Man wird nicht automatisch mit den Jahren besser, umgekehrt muss ein Schüler mit nur zwei Jahren Training nicht schlecht sein. Es kommt darauf an, wie ernsthaft man an sich arbeitet.
Das Training sollte Tiefe besitzen, lax zu trainieren ist sinnlos. Man sollte aus dem Training das Maximum herausholen. Egal wie wenige Techniken man übt, behalte immer im Kopf, dass sie im Ernstfall anwendbar sein sollen. Sei im Training todernst und vergeude keine Minute. Manchmal sehe ich Demonstrationen, bei denen die Techniken irgendwie undefiniert sind, auch wenn der Vorführende sich sehr bemüht. Das ist bedauerlich; sie sollten sich mehr um Gründlichkeit bemühen, wo sie doch soviel Zeit investieren. Man sollte sich entspannen und dann alle Energie aufbringen.
AJ: Meister Tohei sagt, O-Sensei habe seine Schüler angewiesen mit voller Kraft zu üben. Gleichzeitig ist er sehr locker und verwendet überhaupt keine Kraft.
Als O-Sensei sagte: "Benutze alle deine Kraft", meinte er wohl: "Sei ernsthaft bei der Sache" oder "investiere alle deine Energie." Ich glaube nicht, dass er die Leute zur Überanstrengung aufforderte, indem sie all ihr Ki verausgeben. Er hat gerne die Leute zur Entspannung angehalten. Abe Sensei zitierte einst O-Sensei mit den Worten: "Aikido beginnt damit alle Stärke fahren zu lassen." Man sollte sich entspannen und dennoch energisch arbeiten.
AJ: Das ist auf Englisch nur schwer erklärbar.
Es ist auch auf Japanisch schwierig. O-Sensei schrieb in einem seiner Gedichte: "Eine wahre Kampfkunst kann nicht mit Worten und Buchstaben ausgedrückt werden. Wenn man es versucht, werden es die Götter verhindern." Damit meinte er wohl, dass die Kampfkunst nicht erklärbar ist. Man lernt nur durch das Training, gleichzeitig soll man aber nicht annehmen, dass man dadurch Weisheit erlangt. Er hat noch zwei oder drei ähnliche Gedichte verfasst. Tohei-Sensei ist ein sehr angesehener Mann, der auch sehr gewissenhaft studiert. Als ich ein Kind war, hat mir Meister Saito empfohlen sein Uchi-Deshi zu werden.
In Iwama erhalten wir die Tradition im Training und im täglichen Leben.
AJ: Es sind schon Tausende Aikidoka nach Iwama gekommen und viele weitere, die gerne kommen würden. Bitte erzählen sie uns über das Leben der Uchi-Deshi und ihre Aufgaben.
Es gibt hier zwei Kategorien von Leuten: Uchi-Deshi ("innere" Schüler) und Sotodeshi ("äußere" Schüler). Für einen Uchi-Deshi ist das Dojo das Zuhause. Zuhause putzt man, wäscht seine Kleidung und hält den Garten in Ordnung. Da das Grundstück des Dojos sehr groß ist, gibt es immer Unkraut zu jäten und Blätter zu harken. Ohne eine oder zwei Stunden täglicher Arbeit [durch die Uchi-Deshi] könnte das Dojo nicht betrieben werden. Manche Leute haben Probleme mit diesen japanischen Bräuchen. Sie verlassen uns mit den Worten: "Das habe ich mir so nicht vorgestellt." Aber ein Uchi-Deshi sollte bereit sein freiwillig zu arbeiten und seine Lehre mit Dankbarkeit annehmen.
Uchi-Deshi haben jeden Tag zwei Übungseinheiten. Morgens und abends. Sie können tagsüber auch frei trainieren. Sotodeshi üben nur abends, manchmal helfen sie auch beim sonntäglichen Aufräumen. Sich mit den japanischen Bräuchen vertraut zu machen ist sehr wichtig. Wir sollten nicht mit der Tradition des Begründer brechen, nur weil Leute aus dem Ausland zu uns kommen.
Nach Iwama zu kommen bedeutet auch O-Sensei zu treffen. Das Dojo hat sich seit seinem Tod nicht verändert, vielleicht mit der Ausnahme der ausgewechselten Tatami. Selbst die Toiletten sind nicht ausgewechselt worden, es sind die gleichen wie vor 50 Jahren, die Badewanne hat O-Sensei selbst noch verwendet. Hierher zu kommen ist wie eine Zeitreise in die Zeit, als O-Sensei noch lebte. Obwohl O-Sensei verstorben ist, kann man hier mit seinem Geist eins werden. Wir trainieren morgens im Dojo falls es regnet, aber wenn das Wetter besser ist, üben wir mit Ken und Jo draußen. Das ist sehr traditionelles Training. Solcherart findet man nicht mehr oft in Japan, geschweige denn im Ausland. In diesem Dojo werden die Traditionen nicht nur im Training, sondern auch im täglichen Leben angewendet. Gleichezeitig wird hart trainiert, damit man auch lehren kann. Man kann gleichzeitig seine Techniken lernen und seinen Geist disziplinieren. Iwama bietet dafür eine großartige Möglichkeit.
AJ: Manche Leute denken, dass man im Aikido nicht unbedingt mit Ken und Jo üben muss.
Wenn man Ken und Jo von dieser Welt verbannen könnte, dann bräuchte man sie auch nicht zu studieren. Ernsthafte Kampfkünstler sollten aber den Bogen, das Schwert, den Jo, und so weiter kennenlernen, da sie ja nun einmal existieren. Um etwas über sie zu lernen, muss man sie zunächst benutzen lernen. Der Gründer sagte, dass Ken, Jo und Taijutsu alles eines ist. Also soll man auch alles üben. Im Hombu-Dojo wollte O-Sensei die Schüler nicht mit Waffen trainieren lassen, dort hat er nur mit Waffen demonstriert, ohne den Gebrauch zu unterrichten. Vielleicht geschah dies, weil im Hombu-Dojo immer viele fremde Zuschauer kamen und O-Sensei sie nicht auf falsche Gedanken bringen wollte.
Es wäre etwas anderes, wenn jemand von Anfang an vom Gründer in der Waffenkunst unterrichtet worden wäre. Wenn O-Sensei jemanden das Suburi exakt so ausführen sah, wie er es wollte, dann hat er gelächelt. Aber wenn die Leute mit den Waffen herumspielten und Iai-Techniken ausprobierten, dann wurde er ärgerlich und beendete das sofort.
Ich sprach einmal mit einem derart gescholtenen und er sagte mir, O-Sensei habe nicht gesagt: "Ihr sollt keine Waffen benutzen", sondern vielmehr: "Wer hat euch erlaubt mit Waffen zu üben?" Saito-Sensei hat bei der Eisenbahn in 24-Stunden-Schichten gearbeitet, so konnte er an den anderen Tagen den ganzen Tag mit O-Sensei Waffentechniken üben. Wenn Saito-Sensei sonntags im Hombu-Dojo die Waffentechniken unterrichtete, dann sah O-Sensei mit einem breiten Lächeln zu.
Als Kind habe ich einmal während Saito-Sensei Jo-Unterricht gab einen Stock genommen und die 31-Jo-Kata imitiert. Später habe ich dann gehört, dass O-Sensei dies von seinem Zimmer aus lächelnd beobachtet hat. Ich denke es kam ihm darauf an, dass man die Waffentechniken genau so ausführt, wie er es wollte. Zum Glück haben wir Saito-Sensei als Vorbild. Wir sollten ihn kopieren und können dann, vielleicht, einen großen Schritt vorankommen. Das ist Takemusu-Aikido, eines jeden eigene Schöpfung. Wenn man nie mit Waffen geübt hat, dann kann man niemals richtig reagieren, wenn man doch einmal mit Waffen angegriffen wird. Jedoch würde ich nicht darauf bestehen, dass für die Meisterschaft im Aikido mit Waffen geübt werden muss. Der Begründer übte mit Waffen, es gibt Waffen. Darum üben wir damit. Mehr ist da nicht.
AJ: Alle stimmen darin überein, dass im Aikido von Meister Ueshiba der spirituelle Aspekt sehr wichtig ist; welche Art sprituellen Trainings absolvieren Sie?
Nicht sehr viel. Das Haus meiner Großeltern liegt am Mount Atago in Iwama. Vor sechs Jahren habe ich dort unter einem Wasserfall täglich Misogi geübt, für etwas über ein Jahr. Ich habe keinen Tag ausgelassen, ob Regen oder Schnee. Dann las ich einmal einen Artikel über einen interessanten alten Mann namens Sasame, der am Mount Otake bei Okutama in Tokyo lebt. In dem Artikel stand, dass er Onisaburo Deguchi getroffen hatte, deswegen besuchte ich ihn. Er ist nach dem Krieg erst 1957, meinem Geburtsjahr, aus sibirischer Gefangenschaft entlassen worden. Er traf O-Sensei in Tokyo und dieser hat ihm geraten nach Iwama zu gehen und am Schrein zu beten, damit er von der Gefangenschaft genesen könne. Aber er ging wieder nach Tokyo, da er fürchtete sich mit O-Sensei zu streiten, da sie beide sehr stur waren. Ich habe vieles über Philosophie von Sasame-Sensei gelernt. Er ist leider dieses Jahr gestorben. Er war auch sehr eng mit der Omoto-Religion verbunden. Er war nicht direkt ein Glaubender, aber die spirituelle Lehre, die er unterrichtete, war eng an das frühe Omoto angelehnt. Sasame-Sensei sagte: "Ueshiba-Sensei muss Sie zu mir geschickt haben." Das war auch mein Eindruck. Der Begründer sagte, es sei wichtig sowohl die äußere Welt (der Erscheinungen), wie auch die sprituelle Welt zu studieren. Ich bin durch mein Nachdenken darüber offener für die unsichtbaren Dinge geworden. Ich glaube mein Charakter hat sich auch etwas geändert. Früher war ich ziemlich grob, aber ich habe gelernt mich demütig zu verhalten. Ich bin jetzt schon 40, wissen Sie. (lacht)
AJ: Es gibt ein Buch von O-Sensei mit dem Titel Budo. Bitte erzählen Sie uns davon.
Als dieses Buch geschrieben wurde, war O-Sensei noch sehr energisch. Das Aikido des Begründers war am Anfang nicht das gleiche wie in seinen späten Jahren. In Iwama ist das Aikido allerdings so geblieben, wie es war als er den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht hatte. Man kann aus dem Buch viel über den Gründer und die Geschichte der Techniken lernen. Es ist ein Schatz; ich wünschte es gäbe mehr solcher Werke, in denen O-Senseis Aikido in seinen 50ern und 60ern gezeigt wird. Saito-Sensei wird bald 70 sein, diejenigen, die heute mit dem Aikido beginnen, können nicht wissen wie er in seiner Jugend war; bis auf die wenigen Videos und Bücher. Es gibt aber im Dojo noch Leute, die Saito als jungen Mann kannten. Durch diese fortgeschrittenen Schüler kann man lernen wie Saito-Sensei früher war. Die Beziehung zwischen den Leuten im Dojo sollte wie eine Pyramide sein. O-Sensei steht an der Spitze, dann folgt Saito-Sensei, dann die älteren (in technischem Sinne) Schüler. Man sollte von den Erfahrenen lernen. Es hilft auch andere Quellen hinzuzuziehen, Bücher sind ein gutes Beispiel. Techniken bleiben nicht einfach im Dojo. Sie leben im Inneren der Individuen.
AJ: Als vor acht Jahren das Iwama-Dojo kurz vor dem Verkauf stand, hat Saito-Sensei ein neues Dojo gebaut. Denken Sie, dass Iwama sein einzigartiges Image erhalten könnte, selbst wenn O-Senseis altes Zimmer und seine persönlichen Gegenstände verschwinden?
Wir können nur unser Bestes geben. Selbst wenn wir das Dojo verlieren, der Schrein ist nicht betroffen. Man sollte sich aber nicht zu sehr an die äußere Form von Dingen heften. O-Senseis Aikido wird intakt bleiben, auch wenn das Dojo verschwindet. Für Aikido braucht man keinen besonderen Ort. Solange der Geist lebendig bleibt ist alles in Ordnung. Ich wäre glücklich, wenn nur eine Person die Lehren verstünde, obwohl wir natürlich ohne das Dojo sehr traurig wären. Dann würden wir eine Gedenkstätte errichten.
AJ: Gibt es eine Möglichkeit den Erhalt des Dojos zu sichern?
Es gab viele Vorschläge, zum Beispiel die Einrichtung einer Stiftung. Oder einen Teil des Dojos abzutrennen, um in für die Nachwelt zu erhalten, selbst wenn es nur eine Ecke ist.
AJ: Ich habe gehört, in Frankreich haben einige Leute Tamura-Sensei gefragt ob es möglich sei, das Dojo auf ihre Kosten abzubauen und nach Frankreich zu bringen, damit es nicht zerstört wird.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Leute das Dojo haben wollen. Patricia Hendricks, unsere Schülerin aus Kalifornien, sagt oft, dass die spezielle Atmosphäre hier in Iwama sie immer wieder aufs neue erfrischt. Wir halten Iwama für das originäre Zentrum der Aikido-Welt; und wir sprechen das auch aus, obwohl die Leute in Tokyo wahrscheinlich das gleiche sagen oder in Tanaba oder Ayabe. Wir denken, dass das Aikido hier begann. Das ist eine wichtige geistige Einstellung, die uns hilft die Dinge anzupacken, die der Begründer hinterließ.
AJ: Wie wird sich das Aikido weiterentwickeln?
Das kommt ganz auf die persönliche Einstellung eines jeden Praktizierenden an. Wenn du bereit bist, dich der für die Kampfkünste nötigen Disziplin zu unterwerfen, dann wird sich das Aikido unendlich verbreiten. Wenn man allerdings nur mit Partnern übt, die nicht richtig angreifen, wird es keinen Fortschritt geben. Es ist eine andere Sache, wenn man Aikido nur zur Fitness und wegen der Freundschaften trainiert. Aber so wird niemand den Gründer übertreffen. Im Sumo ist es üblich sich bei den eigenen Lehrer zu bedanken, indem man sie wirft. Wir danken dem Gründer, indem wir ihn übertreffen. Es klingt vielleicht arrogant, aber ich denke, wir sollten das zu unserer Grundhaltung machen. Wir sollten genau die Lehren von Meister Saito studieren. Das ist das Ziel derer, die nach Iwama kommen. Man sollte Saito-Sensei und seine Schüler immer aufmerksam beobachten, so dass man sich selbst verbessern kann. Mit den Lehren des Begründers und den Lehren von Saito-Sensei als Grundlage möchte ich hart trainieren und die Lehre mit allen teilen ohne das Wasser zu verschütten, das O-Sensei aus der Quelle geschöpft hat. Wir sind dafür verantwortlich. Saito-Sensei trägt eine große Bürde und es ist meine Aufgabe dieses Wasser weiterzutragen. Alle, die jetzt im Dojo sind, bekommen es auch und geben es an jene weiter, die uns nachfolgen - wir sollten aber auch einen Schluck davon trinken (lacht). Erst trinken und dann weitergeben; das bedeutet die Tradition zu wahren. Lerne erst alles über den Gründer, dann füge deine Ideen hinzu und dann wage den großen Sprung. Vor seinem Tod sagte der Gründer: "Führe fort, was ich hinterlasse." Wir müssen uns jeden Tag fragen, was uns der Gründer vererbt hat.
AJ: Sie werden der Nachfolger von Saito-Sensei sein und die Tradition fortführen. Gibt es auch etwas, das sie hinzufügen wollen oder etwas bestimmtes, was sie erreichen wollen?
Ich denke, Iwama ist gut wie es ist. Wenn ich etwas persönliches hinzufügen wollte, so würde ich gerne mehr spirituell trainieren. Aber ich würde von niemandem verlangen dies auch zu tun. Ich würde gerne wie der Gründer Misogi üben, auch wenn das was ich tue vielleicht nur eine Imitation ist. Ich möchte gerne die Verantwortung für die Erhaltung der traditionellen Formen übernehmen, so wie es Saito-Sensei mit aller seiner Kraft tat. Man kann aber nichts ohne eine gute Technik erreichen. Wenn man das Zimmermanns-Handwerk von seinem Vater erlernt, aber das eigene Können nicht ausreicht, so wird man keine Aufträge erhalten. Erfolg baut auf individuellem Können. Ich werde mich bemühen, meinem Vater gerecht zu werden, auch wenn das nicht so einfach ist.
AJ: Hitohiro-Sensei, können Sie unseren Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?
Ich wünsche mir, dass sich jeder mit O-Senseis spiritueller und technischer Lehre auseinandersetzt, insbesondere die Lehre aus der Zeit, als er am lebhaftesten war. Jeder wird dort etwas finden, das sich vom Daito-Ryu unterscheidet. Daito-Ryu ist auch wundervoll und wir sollten auch Sokaku Takeda kennen, aber zunächst sollte man lernen, wie O-Sensei in seiner Jugend gewesen ist.
AJ: Jemand sagte mal zu mir: "O-Sensei hat die Jujutsu-Techniken aus dem Daito-Ryu eliminiert und so eine großartigere Kunst geschaffen", aber auf meine Nachfrage: "Was ist denn entfernt worden und was ist Original-Aikido?", konnte diese Person nicht antworten. Ich meine nicht, dass jeder Daito-Ryu üben soll, aber sich darüber zu informieren, kann das Verständnis der Unterschiede zwischen dem, was das Aikido geschaffen hat und dem, was das Aikido geerbt hat, vertiefen. O-Sensei wurde auch von der Omoto-Religion beeinflußt und von zum Beispiel Masahira Goi vom Byakko Shinkokai. Wenn man über O-Senseis Gedanken spricht, ist es immer wichtig seine Originalität zu berücksichtigen.
Wenn man Aikido meistern möchte, sollte man seine Wurzeln kennen.
AJ: Bis jemand kommt, der besser ist als O-Sensei.
Es ist wie Sasame-Sensei sagt: "O-Senseis Techniken sind heilig; ein normaler Mensch kann sie nicht nachmachen, egal wie hart er übt." Wenn seine Techniken wirklich heilig sind, dann müssen wir um so härter trainieren, um ihn zu übertreffen.
AJ: Ich denke man muss sich eine Einstellung aneignen, die besagt: "Ich möchte soweit kommen wie O-Sensei" oder auch "ich möchte noch weiter gehen." Und dann muss man sein Bestes tun, statt immer wieder nachzuschauen wie weit man schon gekommen ist. Es kommt darauf an wie man lebt solange man noch gesund und guter Dinge ist.
Das ist wahr. Ich möchte denen, die ernsthaft Aikido erlernen möchten, folgendes sagen: "Bitte kommt nach Iwama, trefft Saito-Sensei und lasst ihn euer Herz berühren und euren Geist öffnen." Ein solches Dojo findet man heute nicht mehr.
AJ: Hitohiro-Sensei, ich danke Ihnen von ganzem Herzen.
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Copyright © der deutschen Übersetzung: Stefan Schröder 6/2004.