Erschienen in Aiki News #92 (Summer 1992) unter dem Titel "An End to the Collusion".
Erinnern wir uns an die jährliche All-Japan-Aikido-Demonstration, die vor einigen Jahren an einem schönen Frühlingstag im Budokan stattfand. Ein hochgraduierter Shihan begeht während seiner Vorführung einen kleinen Timingfehler und so misslingt es ihm seinen Uke aus dem Gleichgewicht zu bringen oder auch nur zu berühren. Der Uke, der offensichtlich nicht wusste wie er sich verhalten sollte, sieht sich um und - nach unendlich langen ein oder zwei Sekunden - fällt er.
Wir alle haben ähnliche Vorfälle beobachtet. Es gibt im Aikido offensichtlich ein unausgesprochenes Übereinkommen zwischen Tori und Uke, dass letzterer einen kontrollierten Angriff abliefert und daraufhin ohne nennenswerten Widerstand fällt, ob er geworfen wird oder nicht. Dies gilt insbesondere für Demonstrationen, aber auch für das Üben im Dojo.
Was wollen wir bei solchen Vorführungen demonstrieren? Ist unser Ziel die Schönheit und Weichheit der Aikido-Bewegungen zu zeigen? Wollen wir einen Geist der Kooperation mit kämpferischer Fassade darstellen? Idealistische und abstrakte Begriffe wie "Harmonie", "Frieden", "Liebe" und ähnliche werden wortgewandt mit Aikido in Verbindung gebracht. Die Bedeutung dieser Begriffe kann allerdings fehlleiten, da sie auch in der Alltagssprache verwendet werden - dort allerdings oft im Zusammenhang mit Sanftmut, Passivität oder Zaudern angesichts von Gewalt. Der Begründer benutzte diese hehren Konzepte in einem besonderen spirituellen Zusammenhang und das Element der kriegerischen Stärke war in seiner Vision immer implizit enthalten. Wir erweisen Morihei Ueshiba einen Bärendienst, wenn wir unsere öffentlichen Demonstrationen zu "Tanzvorführungen" machen.
Dies erinnert mich an eine berühmte Episode mit dem Begründer, die von Gozo Shioda-Sensei vom Yoshinkan erzählt wurde. O-Sensei war 1941 gebeten worden seine Kampfkunst vor der kaiserlichen Familie im Kaiserlichen Saineikan-Dojo vorzuführen. Dies lehnte er mit der Begründung ab, er könne keine "Lüge zeigen". Mit "eine Lüge zeigen" meinte er die Tatsache, dass reale Kampftechniken derart verheerend seien, dass sie nicht in Vorführungen gezeigt werden könnten. Letztlich stimmte er doch zu "die Lüge zu zeigen". Bei dieser Demonstration brach er seinem Uke Tsutomu Yukawa nach einem zu schwachen Angriff das Schlüsselbein. Yukawa hatte auf die geschwächte Konstitution Ueshiba-Senseis Rücksicht nehmen wollen, da dieser gerade an Gelbsucht litt.
Aikido hat in vielen Kampfkunstkreisen aufgrund seines vermeintlichen Mangels an Effektivität einen schlechten Ruf. Dies liegt an der offensichtlichen Absprache zwischen Tori und Uke. Ich persönlich habe nichts gegen das freundschaftliche Übereinkommen während des Trainings einzuwenden, gerade dann, wenn starke Unterschiede der Fähigkeiten bestehen. Es wäre offensichtlich unangemessen, wenn ein hochgradiuerter Schüler einen Anfänger brutal angriffe oder sich quer stellen würde, wenn der Anfänger an ihm eine Technik versuchte. Nichtsdestotrotz kann der Uke innerhalb des Rahmens sicherer Übung ernsthaft angreifen und den Angriff nach und nach - je nach Fähigkeit des Tori - verstärken. Tori wiederum sollte sich vergewissern, dass es ihm gleich zu Beginn gelingt, seinen Angreifer aus dem Gleichgewicht zu bringen. Falls dies gelingt, wird der Rest der Technik glatt gehen ohne unangemessene Kraft zu benötigen.
Kehren wir zum Thema Demonstrationen zurück. Wenn Top-Shihan vor hunderten von Menschen Techniken vorführen und ihre Ukes eine schöne, kontrollierte Fallschule zeigen, dann mag dies von artistischem Wert sein, aber für das geschulte Auge eines wissenden Kampfkünstlern sind solche Darbietungen nahezu eine Posse. Wenn der Uke seinen Körper perfekt kontrolliert während er fällt, dann hat Tori es nicht vermocht Ukes Gleichgewicht zu brechen. Für einen ernsthaften Budoka ist dies eine nicht entschuldbare Situation. Wenn wir darüber nachdenken, dann kommen wir zu dem Schluss, dass eine gut ausgeführte Technik keinen "schönen" Fall erlaubt. Ein Uke, der sein Gleichgewicht verloren hat, kann sich bestenfalls gerade eben retten, indem er seinen Körper während des Falls schützt.
Vor einigen Jahren habe ich entdeckt, dass die Fähigkeiten eines Aikidoka eingeschätzt werden können, wenn man den Uke beobachtet. Normalerweise ist man von den Bewegungen von Tori eingenommen, so dass man den Uke außer Acht lässt. Dies gilt insbesondere bei Demonstrationen, welche dazu neigen spektakulär zu sein. Es ist erstaunlich wievielen Top-Instruktoren es misslingt ihren Uke aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich bin sicher, dass sie meist durchaus dazu in der Lage sind. Problematisch wird es jedoch, sobald zuschauende Aikidoka schlussfolgern, dass diese Ausführungsweisen die korrekten sind. Diese Zuschauer beginnen das Gesehene in ihr Training einzubauen; das Resultat ist eine schrittweise Verschlechterung der technischen Fähigkeiten. Auf der anderen Seite kommen außenstehende Zuschauer, die sich nicht von solchen Vorführungen beeindrucken lassen, zu dem Schluss, dass Aikido als Kampfkunst wertlos ist. Choreographierte Vorstellungen, denen jeder kriegerische Geist fehlt, sind am besten auf einer Tanzbühne aufgehoben und haben keinen Platz im Aikido des Begründers.
Ich möchte Sie drängen über Ihr Engagement für Aikido nachzudenken. Wenn Sie nichts über Selbstverteidigung und den Geist des Budo lernen wollen, sondern Sie sich mit den Freundschaften und der familiären Atmosphäre zufriedengeben, die im Umfeld des Dojo entstehen, dann machen Sie einfach weiter wie bisher. Es wäre töricht schlafende Hunde zu wecken! Wenn Sie allerdings von dem wundervollen Konzept des Aikido fasziniert sind, so wie es der Begründer Morihei Ueshiba schuf, ist es dann nicht Zeit die eigene Trainingspraxis zu hinterfragen? Diskutieren Sie diese Ideen und Zweifel mit Ihrem Lehrer und Ihren Gefährten. Steigern Sie die Intensität Ihres Trainings nach und nach. Gelingt es Ihnen mit Ihrer Eingangsbewegung Ihren Partner aus dem Gleichgewicht zu bringen? Sie werden erstaunt sein wie einfach der Rest der Techniken ist, sobald dies gelingt. Sind Sie in der Lage Atemi auszuführen? Schließen ihre Bodenhebel tatsächlich jegliche Flucht des Partners aus? Bleiben Sie auch nach Abschluss jeder Technik aufmerksam, für den Fall, dass ein weiterer Angriff droht? Ich möchte grundsätzlich darüber sprechen, dass Aikido mit voller Konzentration geübt wird, nicht wie bei einem lockeren Beisammensein. Die Fähigkeit, die eigene Energie zu konzentrieren - die sich nach und nach entwickeln wird, wenn man ernsthaft Aikido trainiert
- ist eine mächtige Fähigkeit, die Ihnen in allen Lebenslagen gut gelegen kommen wird. Wir laden Sie ein uns weiterhin Briefe zu schicken und sich mit uns auszutauschen!
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