Erschienen in Aikido Journal #113 (1998) unter dem Titel 'The Japan Pilgrimage: Better be prepared'
Verwirrt und mit einigen Schrammen, die nicht nur von Yonkyo stammten, kehrte ein weiterer meiner Aikido-Freunde von seiner kürzlich und frühzeitig beendeten Pilgerreise nach Japan zurück. Er war nicht der erste, der seinen Aufenthalt im Mekka des Aikido plötzlich abbrach und er wird auch nicht der letzte sein. Es war ein typischer Fall von hohen Erwartungen, die in freien Fall übergingen, als sie mit der Realität konfrontiert wurden - die dann ins Trudeln gerieten und mit einem Schlag inmitten der Trümmer zerstörter Träume aufschlugen. Viele andere, die nicht notwendigerweise einen gefestigteren Charakter haben müssen oder klüger sind, überleben ihre Japan-Erfahrung und verbessern ihre Technik unermesslich, selbst wenn sie keine Erleuchtung finden. Aber für einige Unglückliche wird der Traum zu einem Albtraum. Japan neigt dazu, bei Angehörigen der westlichen Kulturen extreme Reaktionen hervorzurufen und teilt sie so in Japanophile und Japanophobe. Ausländische Besucher dieses Landes durchlaufen verschiedene emotionale Phasen, manchmal an einem Tag. Die erste Phase ist die Euphorie, gespeist von der Faszination des Neuen, der kulturellen Tiefe, der beträchtlichen Energie der großen Städte und der "Höflichkeit" der Menschen. Darauf folgt die Verbitterung über die Sprache und bürokratische Barrieren und die Tatsache, dass man offen wie ein "Aussenseiter" behandelt wird. Dann, wenn man noch nicht aufgegeben hat, folgt eine Periode Zen-artiger Akzeptanz der Dinge, wie sie nun mal sind. Nicht einmal dauerhaft in Japan Wohnende sind von dieser emotionalen Achterbahn ausgenommen und viele Leben täglich damit. Wenn eifrige Aikidoka mir von ihrer Absicht berichten diese Pilgerfahrt anzutreten, so muss ich zugeben, dass ich nicht weiss, was ich ihnen raten soll, um sie vor möglichen Enttäuschungen zu schützen, außer kaltes Wasser über ihre Hoffnungen und Ambitionen zu giessen, was in den meisten Fällen unfair wäre. Leider gibt es keine Erfolgsgarantie und keine Gesetze gegen Enttäuschungen - in der Liebe, im Vertrauen oder im Ehrgeiz - das ist der Preis für das Menschsein. Aber ich ermutige die Leute, ihre rosarote Brille abzunehmen und sich auf einige Schocks vorzubereiten. Was für eine Art Schock ist dies? Zum einen ist das der erhebliche Bevölkerungsdruck. Im Gegensatz zu dem Image, das einige vom Land der stillen Einkehr haben -- mit Zenpriestern und Aikidomeistern, die friedlich ihre Bonsaibäume betrachten, während altertümliche Saiteninstrumente spielen -- die Wirklichkeit offenbart sich bei der Ankunft in Tokyo, mit irrer, rasender Aktivität, unglaublichem Lärm und Verschmutzung. Die hochgelobte Liebe zur Natur der Japaner scheint wie ein Witz, angesichts der auf einzigartige Weise unattraktiven Stadt, die über weniger freie Flächen pro Einwohner verfügt, als die meisten anderen Städte der Welt. Auf der Suche nach einem stilleren Ort mit weniger Menschen betritt man vielleicht eines der vielen tausend Cafés (welches rauchschwanger und übertrieben laut musikbeschallt ist), um dann für eine kleine Tasse Kaffee den Gegenwert mehrerer Dollar zu bezahlen. Das ist der zweite Schock: Alles ist viel teurer, als man veranschlagt hatte. Also vermeidest du die teuren Orte und suchst jemanden, der dir die angemesseneren zeigen kann. Ah, japanische Freunde! Ja, vielleicht, aber du wirst bemerken, dass ihre Freundschaft Grenzen hat, auf die du früher oder später stoßen wirst. Das Bild ist irgendwie schief. Deine Freunde sind zwar sehr höflich und lächeln viel, aber meinen sie es auch ernst? Das kann natürlich überall auf der Welt ein Problem sein, denn echte Freundschaft braucht Zeit und muss erst verdient werden. Der Unterschied ist, dass die Japaner eine abgeschlossene, beinahe inzestuöse Gesellschaft haben, ein Erbe der langen Periode der Abgeschlossenheit. Sie scheinen sich selbst zu überwinden und auf eine Art freundlich zu Ausländern zu sein, aber diese Freundlichkeit hat eine gewisse künstliche Qualität. Für manche Westler ist dieses Verhalten tatsächlich schlimmer als offene Feindseligkeit. (Taxifahrer, die so grob sind wie überall auf der Welt, ermöglichen einem eine realistischere Einschätzung der Indifferenz, die Japaner gegenüber Fremden verspüren.) Wenn man viel Geld hat, wird einem eine andere Schwierigkeit eines Langzeit-Aufenthaltes wohl nicht ereilen: eine Arbeit zu finden. Aufgrund der anhaltenden Rezession haben die Japaner die Visa, wie auch die Jobs verknappt. Ein Job, der keinen Spaß macht, der kaum die Lebenshaltungskosten abdeckt und der keine Zeit mehr für das Training lässt, ist zweifellos unbefriedigend. Früher war es relativ einfach als Englischlehrer zu arbeiten, aber das ist jetzt viel schwieriger geworden und man wird für diese Tätigkeit kein Visum bekommen, wenn man keine ordentlichen Qualifikationen vorweisen kann. In Bezug auf das Aikido ist der mögliche Schock wieder direkt proportional zu der Höhe der eigenen Erwartungen. Ich habe schon in vorherigen Artikeln dargelegt, dass es in Japan einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an Aikido-Senseis gibt, deren Charakter nicht ihrer Position in der Hierarchie entspricht. Du solltest nicht erwarten, dass es in japanischen Dojos keine arroganten, ignoranten und sadistischen Individuen gibt. Denn es gibt sie. Die hohe Bedeutung von Autorität in Japan hat sogar zur Folge, dass diese Leute ohne Hinterfrage ihre hohen Positionen halten können. Japanische Aikido-Lehrer sind menschlich -- manche nur allzu menschlich --, sie zu idealisieren kann ein echter Schock sein, wenn man mit der Realität konfrontiert wird. Manchmal können Kleinigkeiten das Fass eines Pilgers zu überlaufen bringen und ihre traurige Heimreise bedeuten. Es gibt viele solche Dinge, die den Aikido-Pilger demoralisieren können und sie oder ihn bewegen, das Land bei der ersten Gelegenheit zu verlassen, aber manchmal liegen die Gründe dafür auch tiefer, so dass sie einem nicht einmal bewusst sind. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass man, je mehr man lernt, umso weniger zu wissen glaubt. Egal wie lange man in Japan bleibt, bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass man die Meisterschaft der Kunst erlangt. Das Erlernen des Aikido ist ein lebenslanger Prozess und die Aussicht das ganze Leben in Japan zu verbringen scheint nicht für jeden sehr attraktiv. Je begieriger man ist, kurzfristig etwas durch das Aikido zu gewinnen, desto schwieriger scheint es. Auch wenn man in Japan die Möglichkeit bekommen mag, mit erfahreneren Partnern für längere Zeiten zu trainieren, als man das daheim könnte, so braucht das Lernen doch seine Zeit und unterscheidet sich letztlich kaum vom Lernen im heimatlichen Dojo. Egal wie gut deine Lehrer sind, du bist es, der die Arbeit tun muss, und das Verinnerlichen der Lehren kann nicht erzwungen werden. Falls die obigen Kommentare übertrieben pessimistisch erscheinen, so entschuldige ich mich dafür, aber ich fühle die Notwendigkeit, denen, die eine Reise nach Japan planen, zu helfen sich vorzubereiten. Meine Anmerkungen sollen nicht gegen die Japaner oder Japan gerichtet sein; ich könnte einen noch viel längeren Artikel schreiben (eines Tages werde ich das wohl auch): Über die wirklich positiven Erfahrungen, die man in Japan machen kann und die wunderbare Freundlichkeit, mit der mir viele Japaner innerhalb und außerhalb der Aikido-Welt begegneten. Dies bringt mich zu einem weisen Ausspruch, eines von mir sehr respektierten Senseis: "Es gibt nichts, außer das Training." Wie tiefgründig das ist und wie viele Bedeutungen sich einem erschließen können, wenn man darüber nachdenkt. Es ist zwar offensichtlich wichtig, wo man trainiert und unter wem, aber selbst diese Aspekte verlieren an Wichtigkeit, wenn man nur ernsthaft trainiert. Wie ein altes Sprichwort sagt: "Wenn der Schüler bereit ist, wird er Lehrer erscheinen." Und der Schüler wird nie bereit sein, wenn sie oder er nicht regelmäßig und ernsthaft trainiert. Wenn man ernsthaft trainiert, werden sich alle Bedenken nach und nach auflösen und vielleicht findest du dann heraus, dass eine Reise nach Japan kein Teil der Antwort ist. Vielleicht ist es besser, eine solche Tour nicht als Pilgerfahrt auf der Suche nach dem ultimativen Dojo oder Sensei zu betrachten, sondern als weiteren Schritt in dem lebenslangen Training, welches man begonnen hat. Und wenn du weiterhin ernsthaft trainierst, dann wirst du eines Tages den für dich perfekten Lehrer finden - den Lehrer in dir.
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Copyright © der deutschen Übersetzung: Stefan Schröder 6/2004.